In Stuttgart geht es vor allem um den militärischen Arm der Gruppe Foto: Bernd Weißbrod/dpa-Pool/dpa/Bernd Weißbrod

Am Oberlandesgericht Stuttgart hat einer der Angeklagten ausgesagt: Ein 55-jähriger Ingenieur spricht im Prozess um neun mutmaßliche Rechtsterroristen der Gruppe um Heinrich Prinz Reuß von Krisenvorsorge und Nachbarschaftshilfe.

Die Welt sollte vor zwei Jahren ins Chaos stürzen. Am 22. September. So war es Wolfram S. versichert worden. Stromausfall. Zusammenbruch des Wirtschaftssystems. Nichts würde mehr gehen in Deutschland. Bürgerkrieg. Tag X.

Aber: In Karlsruhe und anderswo wich die Sonne dem Mond, ging ein Tag mit angenehmen 18,8 Grad zu Ende. Es brannten alle Lichter, als sie eingeschaltet wurden, die Computer funktionierten. Der VfL Bochum hatte einen neuen Trainer verpflichtet. Vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen sprach sich der damalige israelische Premier Jair Lapid für einen unabhängigen Palästinenserstaat aus. Die Geschäfte schlossen wie jeden Tag und brachten ihre Tageseinnahmen zur Bank. Der Untergang Deutschlands war ausgeblieben.

Die Staatsanwaltschaft wirft neun Männern Hochverrat vor

Und Wolfram S. kam offenbar ins Grübeln. „Ich habe begonnen, mich langsam zurückzuziehen“, sagt der Elektroingenieur – den der Generalbundesanwalt vor dem Oberlandesgericht Stuttgart angeklagt hat. Ihm und acht weiteren Männern wirft er Hochverrat vor. Sie sollen versucht haben, das politische System Deutschlands zu stürzen und durch ein eigenes, bereits vorbereitetes System zu ersetzen.

S. – davon sind die Staatsanwälte der Bundesanwaltschaft überzeugt – kam bei dem geplanten Umsturz eine zentrale Rolle zu: Der 55-jährige soll geholfen haben, die elektronische Kommunikation der Gruppe um Heinrich Prinz Reuß aufzubauen und zu verschlüsseln. Für die Tage, an denen 286 Heimatschutzkompanien im Land für Ordnung sorgen, Andersdenkende, Politiker, Polizisten inhaftieren und möglicherweise sogar exekutieren, zumindest der Bundestag gestürmt und besetzt werden sollten, sei S. als sogenannter G 6 des Militärstabes um den Oberstleutnant außer Dienst Rüdiger von Pescatore vorgesehen gewesen. Als der für jede Form von elektronischer Kommunikation zuständiger Generalstabsoffizier. So fasst es die Anklageschrift zusammen.

Der Vater wurde mit 16 Jahren als Flakhelfer eingezogen

Schon als Kind sei er mit Themen wie Katastrophenschutz und -vorsorge in Berührung gekommen. Der Vater habe bereits als Junge Verantwortung für die Familie übernehmen müssen. Mit 16 sei er als Flakhelfer in die Wehrmacht eingezogen worden, mit 17 in französische Gefangenschaft geraten. Seitdem habe es für ihn eine wichtige Rolle gespielt, genügend Wasser und Lebensmitteln zu haben, auf alles vorbereitet zu sein: „Wir waren immer gegen alles versichert.“ Wolfram S. sei in einer Umgebung aufgewachsen, fasst der Vorsitzende Richter Joachim Holzhausen zusammen, „die ängstlich ist, was die Zukunft so bringt“. S. nickt heftig.

Er verschrieb sich der Datensicherheit. Beschäftigt sich mit dem, was er „digitale Souveränität“ nennt. Fest davon überzeugt, dass ein „Überwachungskapitalismus uns massiv Daten entzieht“, Profile von den Menschen erstellt werden, auf deren Grundlage sie manipuliert würden. „Das sind Entwicklungen, die mir sehr große Sorgen machen“, sagte S. vor Gericht.

Handys sollten „entgoogelt“ werden

Er habe Freunden und Bekannten angeboten, deren Handys zu „entgooglen“. Er habe warnen wollen, aufklären, Alternativen anbieten. In seinem Dorf habe er ein digitales Dorf-Café aufbauen wollen: „Da sollte eine Oma Hilfe bekommen, wenn sie bei Amazon einkaufen wollte und nicht wusste, wie das geht.“ Krisenvorsorge und Nachbarschaftshilfe hätten ganz oben auf der Liste des Kriegsdienstverweigerers gestanden.

In Kontakt mit den mutmaßlichen Umstürzlern, erzählt S. mit lauter, klarer Stimme, sei er zuerst digital gekommen. 2021 habe ihn jemand angeschrieben und ihm empfohlen, mit anderen, ähnlich denken Kontakt aufzunehmen: einer Frau und Marco v. H. in Pforzheim. In v. H. sehen die Ankläger einen der maßgeblichen Akteure des militärischen Arms, eng verbunden mit von Pescatore.

Mit v. H. und von Pescatore nahm S. an einem Treffen in Horb am Neckar teil. Dort habe, so observierte die Polizei und räumte der Eletroniker ein, ein im Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr dienender Logistik-Feldwebel eine 15 Seiten starke Präsentation gezeigt zum Aufbau der 286 Heimatschutzkompanien.

Und mit der Beschaffung von Waffen. Weil v. H. immer seine enge Zusammenarbeit mit Bundeswehr betonte, sagt S., sei er davon ausgegangen, dass die nun mal Waffen haben und die im Krisen- und Katastrophenfall im Inneren eingesetzt würden. „Nein, wird sie nicht“, sagt Richter Holzhausen. „Nur bei Katastrophen wird die Bundeswehr eingesetzt – und dann ohne Waffen.“ – „Das wusste ich nicht. Ich habe eine katastrophale Allgemeinbildung“, sagt S. Stutzig wurde er nicht, als er Vorlagen für Dienstausweise einer Neuen Deutschen Armee bekam.

Zum Fragenkatalog gehörte die Covid-Impfung

Seine erste Aufgabe nach dem Treffen in Horb: Er sollte die persönlichen Fragebogen der Bewerber für Heimatschutzkompanien digital erfassen. Fragen wie diese: „Sind Sie mit Covid-19-Impfstoff geimpft?“ oder „Stellt es eine Herausforderung für Sie dar, mit Sterbenden umzugehen?“ Zudem habe er Laptops für die Gruppe gekauft und geliefert, sechs für die Heimatschutzkompanien.

Nach mehreren Treffen von Ende August bis Mitte September 2022 sei er im „Panikmodus gewesen: Scheiße, jetzt geht die Welt unter!“ Ging sie aber nicht am 22. September. Er habe die Augenbrauen hochgezogen – und angefangen, sich zu distanzieren.

Die Befragung des Angeklagten wird am nächsten Mittwoch fortgesetzt.